doma / daheim
Unterwegs zu den Kärntner Sloweninnen und Slowenen
Die Ausstellung zeigt Porträts von Menschen, deren Sprache selbstverständlicher Bestandteil Kärntens ist. Sie „vor den Vorhang zu holen“ ist Ziel der Gegenüberstellung von Werken der Fotokunst Karlheinz Fessls mit vielen Ölbildern und Holzschnitten Werner Bergs. Multimedial präsentiert ergibt die Fülle der Einzeldarstellungen ein vielfältiges Gesamtbild.
„Mit der Sprache werden wir oder werden wir nicht.“ Dieses Zitat stammt vom Kärntner Dichter Florjan Lipuš. Mirko Wakounig, Universitätsprofessor und einer von 45 Portraitierten des in dieser Ausstellung präsentierten Projekts von Karlheinz Fessl, hat in seinem Interview Lipuš zitiert. Das Zitat fasst die Situation der Kärntner Sloweninnen und Slowenen in einem Satz zusammen.
Karlheinz Fessl sagt selbst dazu: „Ich bin der Meinung, dass es für einen Fotografen, der seinen Beruf, hier in Kärnten, ernst nimmt, auch ungeschriebene Aufträge gibt, die zu tun sind: Deshalb begann ich im Jahr 2013 Menschen zu portraitieren und zu interviewen. Ich machte mich auf, ins Jaun-, Rosen- und Gailtal, aber auch nach Klagenfurt, Graz und Wien, dorthin, wo die meisten Kärntner Sloweninnen und Slowenen leben. Es entstanden Gespräche, Fotografien und Videos. Am Ende des jeweiligen Gesprächs, ließ ich symbolisch das Staffelholz an eine Slowenin oder einen nächsten Slowenen übergeben, bis sich ein Netz übers gesamte zweisprachige Gebiet spannte. Die prominentesten Vertreter der Volksgruppe sollten den leiseren, den eher selten Gehörten, Raum geben.
Das Projekt „doma/daheim“ erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Es rührt aus journalistisch-künstlerischer Neugierde und der Überzeugung, dass die letzten Barrieren zu Fall gebracht werden können, wenn man konkrete Lebensgeschichten und Schicksale hört, liest und sieht. Bei keiner Arbeit zuvor, hab‘ ich mehr über mein Land und die Menschen meiner Umgebung gelernt. Die Gespräche führte ich im Zeitraum von sechs Jahren. Sie stellen selbstverständlich jeweilige Momentaufnahmen und individuelle Meinungen dar. Es war beeindruckend zu spüren, wie viele, aus Überzeugung um den Fortbestand Ihrer Sprache kämpfen, selbst wenn sie in Wien oder sonst wo leben, aber auch, dass manche die Flinte fast schon ins Korn werfen und sagen: „Wir sind bereits museumsreif. Unsere Sprache ist verstummt.“ oder „Wenn wir ehrlich sind, geht unsere Sprache mit unserer Generation verloren.““
Wie sehr die slowenische Sprache Kärnten prägte, bezeugen viele Orts-, Flur- und Familiennamen, deren slowenischer Ursprung durch eindeutschende Schreibweise oftmals kaschiert ist, wenn sie nicht überhaupt in früheren Zeiten, wo diese oft Beruf oder Herkunft bezeichneten, durch deutschnationale Pfarrer oder Amtsträger einfach ins Deutsche übersetzt wurden. Im Zuge der Staatentrennung nach Zerfall der Habsburgermonarchie hatten sich viele Kärntner Slowenen für den Verbleib in der jungen österreichischen Republik entschieden. Wenige Jahre später schon wurden viele von ihnen in der NS-Zeit zwangsweise ausgesiedelt, verfolgt und auch getötet. Manche schlossen sich darauf der Partisanenbewegung an, bildeten den einzigen zahlenmäßig größeren Widerstand auf österreichischem Boden und waren auch bestrebt, ihre Region nach Zerfall des Großdeutschen Reiches an das sprachliche Mutterland anzuschließen. Neuerlich zu Österreich gehörend, musste die slowenisch sprechende Bevölkerung erleben, wie ihre vertraglich verbrieften Rechte wenig beachtet wurden und war zunehmend wieder unterschwelligen bis offenen Anfeindungen ausgesetzt. Soziologisch hatte sich für die durch gemeinsame Sprache und Geschichte geprägten Menschen vieles geändert. Allgemein erhöhte Mobilität, verbesserte Bildungs- und Berufsmöglichkeiten oft abseits der heimischen Täler und nicht zuletzt der, regionale Eigenheiten nivellierende Druck der Massenmedien auf die verwendete Sprache, führte zu deren immer selteneren Gebrauch. Umso bedeutender wurde die Frage nach Erhalt der gerade durch die gemeinsame Sprache konstituierten Gruppenidentität.
Was hat diese lange Vorbemerkung mit den Bildern Werner Bergs zu tun, speziell mit den vielen Darstellungen einzelner Menschen aus seiner Umgebung, wie sie erstmals in dieser Fülle in einer Ausstellung den zeitgenössischen Fotografien Karlheinz Fessls gegenübergestellt sind? Jeder Versuch in diesen Bildern sogenannte völkische Eigenheiten der Physiognomie ausmachen zu wollen, ist abzulehnen und als rassistisch zu klassifizieren. Dennoch kann das Erscheinungsbild von Menschen einer bestimmten Region bedingt durch Geschichte, Tradition und besondere soziologische Faktoren Charakteristika aufweisen, die trotz größter individueller Vielfalt ein Gesamtbild für den außenstehenden Betrachter ergeben. Ein solcher war der 1904 im deutschen Wuppertal/Elberfeld geborene promovierte Volkswirt Werner Berg, als er sich nach künstlerischer Ausbildung an den Akademien in Wien und München 1931 als Landwirt und Maler auf einem entlegenen Hof hoch über der Drau ansiedelte. Die Menschen seiner Umgebung in all ihren Besonderheiten und Eigenheiten aus täglich erlebten Dabeisein in Ölbildern, Holzschnitten und Zeichnungen fortwährend darzustellen wurde zum Kernthema seines in fünf Jahrzehnten entstandenen Werkes, das inzwischen mit zum Bedeutendsten zählt, was die österreichische Kunst des 20. Jahrhunderts hervorbrachte. Oftmals wurde seinen Bildern bescheinigt, ein authentisches Bild der Kärntner Slowenen in die Welt hinausgetragen zu haben - in einer Zeit als Deutschnationale vielfach schon deren bloßes Vorhandensein negiert sehen wollten. Wenn gerade die Außensicht des hinzugekommenen Fremden Eigenheiten prägnanter erfasste, half wiederum Werner Bergs Dasein als Bauer, denselben schwierigen Lebensbedingungen wie seine Nachbarn unterworfen und unter ihnen heimisch geworden, Klischees zu vermeiden. Solche könnten durch die allgegenwärtigen Kopftücher, langen Nasen, Hüte und Schnauzbärte auf den ersten flüchtigen Blick durchaus gegeben sein. Diese Gefahr bestand trotz der steten Hinwendung zu den Menschen seiner Umgebung gerade in Werner Bergs lebenslanger Suche nach dem in knappster Reduzierung herauszuarbeitenden Typus. Die vorliegende große Anzahl von Einzelbildnissen, die in dieser Fülle erstmalig zu sehen ist, zeigt Werner Berg jedoch vor allem als mitfühlenden Beobachter und meisterhaften Schilderer individueller Einzelschicksale.
So wird die Ausstellung zur logischen Fortsetzung der äußerst erfolgreichen Präsentation „Manfred Deix trifft Werner Berg – Manfred Deix sreča Wernerja Berga“ und ist wieder Teil der vielen pandemiebedingt auch 2021 stattfindenden Jubiläumsprojekte CARINTHIja 2020. Das Fessl Foto-Projekt doma / daheim wird auch vom Volksgruppenbüro des Landes Kärnten anlässlich seines zum „Kulturjahr/kulturno leto“ ausgerufenen 30-Jahr-Jubiläums unterstützt. Nach der überspitzten Sicht der Karikatur, die zum Nach- und Überdenken regionaler Eigenheiten führte, steht nun die bildhafte Dokumentation zahlreicher durch Region, Geschichte und Sprache verbundener einzelner Menschen im Fokus des Projektes – sei es im aktuellen Foto oder im – heute bereits eine vergangene Zeit festhaltenden – künstlerischen Werk.
Großflächige Fassadengestaltungen erweitern die Ausstellung in die Innenstadt. Ein solches, ein ganzes städtisches Ensemble bestimmendes Übergreifen der Präsentation im Museum in den öffentlichen Raum stellt mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal der Kulturstadt Bleiburg/Pliberk dar.
Der Skulpturengarten des Museums zeigt „Sprachbilder“ von Werner Hofmeister. Dieser setzt sich seit Jahren mit dem Wechselverhältnis von Bild und Text auseinander. Buchstaben, Laute, Ausrufe, Symbole werden zum Bild umgebaut, als Stempel, als Wortzeile oder als Wortwagen, in Eisen. In seiner eigens für das Museum geschaffenen neuen Installation „Zweisprachig“ akzentuieren seine elementaren Piktogramme das Kopftuch von Werner Bergs Holzschnitt „Mädchenkopf“.
Das Werner Berg Museum Bleiburg/Pliberk ist im Jahre 2021 Teil des Projektes
„17 MUSEEN X 17 SDGs - Ziele für nachhaltige Entwicklung“ von ICOM Österreich und leistet zusammen mit 16 anderen österreichischen Museen so einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten SDGs („Sustainable Development Goals“). Das WBM widmet sich dem SDG „Gleichberechtigung der Geschlechter“. http://icom-oesterreich.at/page/17-museen-x-17-sdgs-ziele-fuer-nachhaltige-entwicklung
Öffnungszeiten
01. Mai – 31. Oktober 2021
Di-So: 10-18 h